Grundgedanken
Für die neuropsychologische Untersuchung von Patienten in der Frührehabilitation nach einer schweren Hirnschädigung eignen sich standardisierte Screening -Verfahren, d.h. orientierende Untersuchungen perzeptiver und kognitiver Leistungen. Ihre Bezeichnung als „Bedside –Screening“ zeigt an, dass sie auch bei Patienten durchführbar sein sollen, die in ihrer Mobilität noch überwiegend auf das Patientenzimmer eingeschränkt sind.
Die Erstuntersuchung in der frühen Phase kann sich zunächst auf den klinischen Eindruck stützen, den der Patient im Kontakt vermittelt. Verbale Kommunikationsfähigkeit, starke Wahrnehmungsstörungen wie Neglect sowie motorische Behinderungen durch Hemiplegie sind in der Regel schon der Beobachtung zugänglich. Vom Neuropsychologen wird aber erwartet, dass er über die Alltagsbeobachtungen hinausgeht, die alle Teammitglieder machen, und Leistungen quantifiziert, d.h. messbar macht.
Ressourcenorientierte Befundung
Orientierende Screening- Untersuchungen haben in der frühen, postakuten Phase nach Hirnschädigung eine Doppelaufgabe zu erfüllen: Sie sollen einerseits Störungen und Probleme des Patienten, die schon zum Teil in der Alltagsbeobachtung auffallen, objektivierbar und messbar abbilden, andererseits dem untersuchenden Neuropsychologen Informationen darüber liefern, über welche Ressourcen, d.h. störungsfreie Fähigkeiten der Patient verfügt. Konkrete Leistungsstörungen wie auch verfügbare Leistungsressourcen wirken sich auf die Bewältigung anderer geprüfter Leistungen aus und müssen bei der Interpretation berücksichtigt werden. Im Screening wird daher systematisch geprüft, wie sicher der Boden für die Interpretation der erhobenen Einzelbefunde ist.
Handicaps
Das Bedside- Screening in der frühen Phase verlangt ein besonderes Vorgehen und eine besondere Situation.
Die Patienten sind wenig belastbar, ermüden schnell und sind häufig noch nicht im Rollstuhl mobilisierbar. Das erfordert nicht selten, die erste Untersuchung im Patientenzimmer vorzunehmen. Geeignetes Untersuchungsmaterial muß mitgenommen und der Patient in eine günstige, möglichst sitzende Position für die Untersuchung im Bett oder in Bettnähe gebracht werden.
Vorbereiten der Untersuchung
Mobilisieren im Bett und Aufsitzen an der Bettkante
Umsetzen und Positionieren am Tisch neben dem Bett
Bereitstellen des Aufgabenmaterials und Beginn der Untersuchung
Wenig Items - "Alltagsnorm"
Die geringe Belastbarkeit des Patienten erfordert weiterhin, mit wenig Items für die Beurteilung einer Leistung auszukommen, wodurch Genauigkeit und Gütekriterien reduziert werden. Bedside- Screenings in der frühen Phase nach Hirnschädigung erfordern Untersuchungsverfahren, für die hinsichtlich Normierung und Testgütekriterien besondere Bedingungen geltend gemacht werden müssen.
Keine Zeitmessung
Die tägliche Erfahrung in der Frührehabilitation zeigt, dass die Patienten neben der Belastbarkeitsminderung und Mobilitätseinschränkung auch generell im Arbeitstempo verlangsamt sind. Das erfordert u.E. nach auch den Verzicht auf zeitkritische Messungen und Bewertungen der Aufgabenausführung im Screening. Das Arbeitstempo kann einmal zusammenfassend klinisch beurteilt werden. Psychomotorische Reaktion und Aspekte der Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung lassen sich besser mit der Testbatterie für Aufmerksamkeitsprüfung (TAP) messen, sobald der Patient mobilisiert ist und seine Reaktionszeiten im Zeitfenster der Antwortreaktionen der TAP liegen.
An eine Erstuntersuchung in der Frührehabilitation müssen besondere Anforderungen an Instruktion, Aufgabenmaterial und Antwortmöglichkeiten gestellt werden, um auf Handicaps wie Aphasie, Hemiplegie oder Neglect vorbereitet zu sein. Sie erfordert eigens dafür entwickeltes Aufgabenmaterial.
Für Bedside- Screening -Verfahren ist zu fordern:
- Design eigener Aufgabenvorlagen, um vorhandene normierte Tests, die für spätere Rehabilitationsphasen vorgesehen sind, nicht durch „Ausleihe“ von Untertests oder Materialien für spätere Anwendungen zu entwerten
- große Bandbreite und detaillierte Aufgliederung der Leistungen, um sowohl vorhandene Störungen und Ressourcen als auch ihre Auswirkung bei unterschiedlichsten Aufgabenanforderungen identifizieren zu können
- Verzicht auf zeitkritische Messung und Beurteilung in der frühen Phase (außer bei der Aufmerksamkeitstestung)
- dichotome Items (richtig-falsch)
- Abstufung der Aufgabenschwierigkeit
Verschiedene Instruktionsweisen
Aphasie, Hemiplegie, Neglect, Aufmerksamkeits-/ Konzentrationsstörung usw. stellen dabei für den untersuchenden Neuropsychologen gleichzeitig auch Handicaps für eine testpsychologische Erfassung dar und erfordern eine besondere Berücksichtigung bei der Art und Weise der Instruktion, der Gestaltung der (visuell dargebotenen) Testvorlagen und dem Angebot an Antwortmöglichkeiten für die Aufgabenlösung. Vom Neuropsychologen in der Frührehabilitation wird in besonderem Maße gefordert, für alle Begleitumstände der Untersuchung sensibilisiert zu sein – für die Untersuchungssituation, Eigenarten und Anforderungen des Aufgabenmaterials, Verständnisfähigkeiten des Patienten bei der Instruktion und für seine Ausführungsfähigkeiten beim Antworten (s. Abbildung 2).
Konstruktion
Aus dieser besonderen Situation der Untersuchung in der frührehabilitativen Phase ergeben sich weitere Kriterien für die Konstruktion und Anwendung von Screening- Verfahren:
- Jeder Aufgabenart (kognitiver Leistungsaspekt) sollte eine Instruktion mit ähnlichen Items vorangestellt werden, um das Verständnis der Aufgabe vor der Ausführung der Leistung herzustellen
- Die Itemanzahl sollte begrenzt sein, muß aber Aussagen über Zufallstreffer hinaus ermöglichen (>2 Items)
- Es sollten neben den üblichen verbalen Instruktionen auch nonverbale Instruktionsweisen einbezogen werden
- Die geforderten Antwortreaktionen sollten neben verbalen auch nonverbale Antwortarten ermöglichen
- Aufgabenlösungen, die manuelle Fähigkeiten erfordern, sollten einhändig ausführbar sein
Das Burgauer Screening enthält:
- eine große Bandbreite von Leistungsaspekten mit jeweils eigenen Aufgabendesigns
- jeweils 2 Instruktionsitems
- 5 Testitems pro Aufgabenart
- nur dichotome Items (richtig- falsch)
- keine Zeitmessung
- verbale und auch nonverbale Instruktionsweisen
- verbale und nonverbale Antwortmöglichkeiten
- Möglichkeit auch einhändiger Ausführung bei Aufgaben mit manuellen Anforderungen
- alle Wahrnehmungsaufgaben wie üblich als Wiedererkennnungsaufgaben konzipiert.